Initialdosierung von medizinischen Cannabisblüten (Erstverordnung)

Initialdosierung von medizinischen Cannabisblüten (Erstverordnung)

April 08, 2025Jan Hackmann

Initialdosierung und Applikationsform von medizinischen Cannabisblüten (Erstverordnung)

Allgemeine Dosierungsempfehlungen (Einstieg)

Bei der erstmaligen Verordnung von Cannabisblüten wird grundsätzlich ein „Start low, go slow“-Ansatz empfohlen (Microsoft Word - FAQ_Cannabisgesetz_17_03_10.docx). Das bedeutet, mit einer sehr niedrigen Anfangsdosis zu beginnen und diese langsam zu steigern, um Nebenwirkungen zu minimieren. Typischerweise startet man mit ca. 0,05–0,1 g pro Tag (50–100 mg getrocknete Blüten) (Microsoft Word - FAQ_Cannabisgesetz_17_03_10.docx). Diese Anfangsdosis gilt unabhängig von der Indikation und orientiert sich am Wirkstoffgehalt der Sorte (bei hochpotenten THC-Sorten eher am unteren Ende, bei THC-ärmeren Sorten ggf. im oberen Bereich). Die Dosis kann dann schrittweise (z. B. alle 1–3 Tage um etwa 25–50 mg Blütenmaterial) erhöht werden (ACM-Mitteilungen vom 11. März 2017 | IACM), bis die gewünschte Wirkung erreicht ist. Wichtig ist, täglich langsam zu titrieren und dem Körper Zeit zur Gewöhnung zu geben – es können durchaus mehrere Wochen bis zur optimalen Dosiseinstellung vergehen (Microsoft Word - FAQ_Cannabisgesetz_17_03_10.docx). Als grober Richtwert liegt die übliche Tagesgesamtdosis nach Eindosierung bei vielen Patient:innen bei bis zu 3 g pro Tag, je nach Bedarf und Indikation (Microsoft Word - FAQ_Cannabisgesetz_17_03_10.docx). Allerdings variieren individuelle Bedarfe stark; einige kommen mit weniger aus, während schwere Fälle mehr benötigen. In jedem Fall sollte die Höchstdosis von etwa 3 g/Tag nicht überschritten werden und die Dosierung ist eng zwischen Ärzt:in und Patient:in abzustimmen.

Indikationsabhängige Unterschiede

Die initiale Vorgehensweise (niedrig ansetzen, langsam steigern) ist bei allen Indikationen ähnlich, jedoch können sich Dosisbedarf und Applikationsschema je nach Krankheitsbild unterscheiden:

Chronische Schmerzen

Bei chronischen Schmerzpatienten (z. B. neuropathische Schmerzen) wird häufig mit einer Abenddosierung begonnen – zum Beispiel 1 Inhalation (≈50–100 mg Blüte) am Abend (Microsoft Word - FAQ_Cannabisgesetz_17_03_10.docx). Dies ermöglicht eine erste Wirkung (auch schlaffördernd) in der Nacht und minimiert anfängliche Tagesnebenwirkungen. Bei Bedarf kann anschließend eine morgendliche bzw. tagsüber Dosis ergänzt werden. Die Dosis wird behutsam erhöht (alle paar Tage kleine Schritte), bis eine Analgesie eintritt (ACM-Mitteilungen vom 11. März 2017 | IACM). Viele Schmerzpatienten benötigen schließlich eine Dauertherapie mit mehrfach täglicher Gabe, verteilt über den Tag (z. B. morgens, nachmittags, abends), wobei sich die Tagesdosis individuell einstellt. In Studien lag der Medianverbrauch bei etwa 1–2 g/Tag, aber das Spektrum ist breit. Wichtig ist, dass Cannabinoide selten vollständige Schmerzfreiheit erzielen, jedoch die Schmerzintensität und Begleitsymptome (z. B. Schlafstörungen) deutlich lindern können (Chronische Schmerzen - wie Cannabis hilft - - Wittelsbacher Apotheke). Bei der Kombination mit anderen Analgetika (z. B. Opioiden) kann Cannabis oft opioid-sparend wirken. Insgesamt gilt: langsam auftitrieren, um eine verträgliche Schmerzlinderung zu erreichen, und bei auftretenden Nebenwirkungen vorübergehend auf die letzte verträgliche Dosis zurückgehen.

Spastik (z. B. bei Multipler Sklerose)

Patienten mit Spastik, etwa bei MS, sprechen oft schon auf moderate THC-Dosen an. Anfangs wird analog ein vorsichtiger Einstieg gewählt – z. B. abends 1 Inhalation (~50 mg) einer Blüte mit bekanntem THC/CBD-Gehalt. Alternativ kann ein Mundspray (Nabiximols, Sativex®) verwendet werden, das pro Sprühstoß 2,7 mg THC und 2,5 mg CBD liefert; hier empfiehlt die Fachinformation mit 1 Sprühstoß abends zu beginnen (ACM-Mitteilungen vom 11. März 2017 | IACM). Danach steigert der/die Patient:in bei Bedarf schrittweise um einen Sprühstoß pro Tag (max. 12 Sprühstöße/Tag) (ACM-Mitteilungen vom 11. März 2017 | IACM). Übertragen auf Blüten entspricht ein Sprühstoß etwa 25 mg einer hochpotenten Blüte. Viele Patient:innen mit Spastik erzielen bereits mit Gesamttagesdosen von ~5–30 mg THC (durchschnittlich ~15 mg) gute Effekte (Cannabinoide in medizinischen Leitlinien | MMW - Fortschritte der ...) – das entspricht grob 0,1–0,2 g einer starken THC-Sorte pro Tag. Die Dosis wird aufgeteilt (z. B. morgens und abends) gegeben, um die Symptomkontrolle über den Tag zu erreichen. Wichtig ist auch hier die langsame Titration: Bei MS-Patienten wird oft über 1–2 Wochen gesteigert, bis eine spürbare Reduktion der Spastik (oder Nebenwirkungen) eintritt. Falls Schwindel oder Müdigkeit auftreten, pausiert man mit weiterer Dosissteigerung, bis sich der Körper angepasst hat. Zu beachten: Neben der Reduktion der Muskelspasmen kann Cannabis auch begleitende Symptome wie Schmerzen, Krämpfe oder Schlafstörungen bei MS lindern. Bei unzureichender Wirkung der Blüten kann ein Kombinationseinsatz mit einem THC/CBD-Spray erwogen werden, immer unter sorgfältiger Überwachung.

Übelkeit und Erbrechen (Antiemetische Therapie)

In der Therapie von therapieresistenter Übelkeit (z. B. bei Chemotherapie) wird Cannabis aufgrund seines raschen Wirkungseintritts bevorzugt inhaliert. Bei Erstverordnung für antiemetische Zwecke startet man mit sehr kleinen Inhalationsdosen, etwa ein Zug am Vaporizer (~25–50 mg Blüte) beim ersten Anzeichen von Übelkeit (ACM-Mitteilungen vom 11. März 2017 | IACM). Aufgrund des schnellen Effekts (innerhalb Minuten) kann der/die Patient:in dann einschätzen, ob eine weitere Inhalation nötig ist. Diese Bedarfstherapie lässt sich innerhalb eines Tages mehrfach wiederholen, wobei die Maximalmenge pro Tag meist unter 1 g bleibt – oft genügen wenige Züge rund um die Chemotherapie. In schweren Fällen (z. B. mehrfaches Erbrechen) kann vorsorglich kurz vor der Chemotherapie inhaliert werden. Alternativ stehen orale Präparate zur Verfügung: z. B. Nabilon (Canemes®) Kapseln 1 mg, die üblicherweise 1–2× täglich eingenommen werden (ACM-Mitteilungen vom 11. März 2017 | IACM). Nabilon 1 mg entspricht etwa 5–6 mg THC-Wirkung und wird meist abends vor dem Schlafen und ggf. morgens verabreicht. Auch Dronabinol (THC) in Kapselform oder Tropfen wird antiemetisch eingesetzt, typischer Anfang: 2,5 mg THC oral 1–2× tgl. und langsame Steigerung (ACM-Mitteilungen vom 11. März 2017 | IACM). Generell gilt bei oraler Gabe: aufgrund des verzögerten Wirkungseintritts vorsichtig dosieren und ausreichend Zeit (1–2 Stunden) bis zur Beurteilung der Wirkung einplanen, um nicht versehentlich zu hoch zu dosieren. Bei Bedarf können Inhalation und orale Gabe kombiniert werden (in Einzelfällen, z. B. Inhalation für schnellen Effekt plus oral für länger anhaltende Wirkung), dies sollte jedoch eng ärztlich begleitet werden.

Applikationsform: Inhalation vs. orale Einnahme

(VOLCANO MEDIC 2 – VAPORMED) Medizinischer Verdampfer („Vaporizer“); hier das Modell Volcano Medic 2, das zur Inhalation von Cannabisblüten verwendet wird.
Für die Anfangstherapie werden inhalative Darreichungsformen bevorzugt, da sie eine bessere Steuerbarkeit der Dosis ermöglichen. Bei der Inhalation mittels Vaporizer tritt die Wirkung bereits nach Sekunden bis wenigen Minuten ein, mit einer Wirkungsdauer von etwa 2–4 Stunden. Dies erlaubt dem Patienten, schrittweise zu inhalieren und die Wirkung nahezu in Echtzeit zu spüren, was die Eindosierung erleichtert. Empfohlen wird die Verwendung medizinischer Verdampfer-Geräte (z. B. Volcano Medic® oder Mighty Medic®), die das Pflanzenmaterial auf ca. 180–210 °C erhitzen. Dabei entstehen wirkstoffhaltige Dämpfe (Aerosol), die inhaliert werden – ohne Verbrennung und somit ohne die bei Rauch entstehenden Schadstoffe. Die Dosierung kann exakt über die Menge der eingefüllten Blüten (in Milligramm) gesteuert werden. Wichtig ist, pro Inhalation einen frischen Ansatz zu verwenden (Verdampfung aus bereits benutztem Material liefert kaum Wirkstoff mehr). – Demgegenüber erfolgt die orale Aufnahme deutlich langsamer: Nach Cannabis-Tee oder -Cookies tritt die Wirkung erst nach 30–90 Minuten ein und hält dafür länger an (4–8 Stunden).

Orale Darreichungen sind z. B. Teezubereitungen aus Blüten oder fertig hergestellte Ölextrakte/Tropfen. Zu beachten ist, dass bei der Teezubereitung die Wirkstoffausbeute geringer ist – THC/CBD lösen sich nur begrenzt in Wasser. Durch längeres Kochen (mind. 15 Minuten) und Zusatz von Fett (z. B. etwas Milch) kann die Extraktion verbessert werden, dennoch geht ein Teil verloren. Daher muss für vergleichbare Effekte bei Tee oft mehr Ausgangsmaterial eingesetzt werden (z. B. 0,5 g für einen Tee, anstelle von 0,1 g bei Inhalation) 

Zudem ist die Dosierung beim Essen/Trinken schwieriger steuerbar – eine zu hohe orale Dosis zeigt sich erst mit Verzögerung, was zu Überdosierungserscheinungen führen kann. Insgesamt wird daher für den Therapiestart die inhalative Applikation (Verdampfung) klar favorisiert Vom Rauchen eines Joints wird aus medizinischer Sicht abgeraten (verbranntes Pflanzenmaterial erzeugt Teer und Toxine in der Lunge).

Dosistitration und Anpassung

Während der Eindosierungsphase ist eine engmaschige Beobachtung erforderlich. Die Dosiserhöhung erfolgt in kleinen Schritten: z. B. Steigerung um 25–100 mg alle 1–3 Tage (ACM-Mitteilungen vom 11. März 2017 | IACM). Wichtig ist, immer nur eine Änderung zur Zeit vorzunehmen (nicht Dosis und Frequenz gleichzeitig erhöhen), um die Verträglichkeit einschätzen zu können. Treten Nebenwirkungen auf, sollte die Dosis reduziert oder auf die vorherige gut verträgliche Stufe zurückgegangen werden (Häufige Fragen » apondium Cannabis). Insbesondere zu Beginn der Therapie sind Nebenwirkungen häufiger, nehmen jedoch mit Gewöhnung meist ab (Häufige Fragen » apondium Cannabis). Ärzt:innen sollten ihre Patient:innen darauf hinweisen, dass anfängliche Symptome wie Schwindel oft temporär sind und sich der Körper nach einigen Tagen anpasst (ACM-Mitteilungen vom 11. März 2017 | IACM). Die Auf- oder Abdosierung wird so lange fortgeführt, bis entweder die gewünschte Wirkung (z. B. Schmerzlinderung, spastiklösende Wirkung, Appetitsteigerung etc.) erreicht ist oder dosislimitierende Nebenwirkungen auftreten. Die optimale Dosis ist sehr individuell – sie liegt irgendwo zwischen einer Mindestwirkdosis und der Verträglichkeitsgrenze und wird im Verlauf durch Ausprobieren ermittelt (Microsoft Word - FAQ_Cannabisgesetz_17_03_10.docx). Während der Titrationsphase sollte ein enger Austausch zwischen Arzt und Patient stattfinden, um auf Basis der Rückmeldungen die Dosis anzupassen. Außerdem ist es sinnvoll, möglichst einheitliche Produkte (gleiche Cannabis-Sorte) während der Einstellung zu verwenden, da unterschiedliche Sorten variierende Gehalte an THC/CBD aufweisen und somit die Dosisfindung erschweren könnten. Sobald eine stabile Erhaltungsdosis gefunden ist, wird diese als tägliches Regime weitergeführt, mit gelegentlichen Anpassungen je nach Krankheitsverlauf.

Patientensicherheit und Hinweise

Die sichere Anwendung von medizinischem Cannabis erfordert einige zusätzliche Hinweise: Verkehrstüchtigkeit: Zu Therapiebeginn und während der Dosiseinstellung ist vom aktiven Führen von Fahrzeugen dringend abzuraten (BfArM - Hinweise für Ärztinnen und Ärzte). THC kann die Reaktionsfähigkeit beeinträchtigen, und bis eine stabile Erhaltungsdosis erreicht ist, besteht ein unkalkulierbares Risiko. Ob Patient:innen bei stabiler Dauertherapie wieder Auto fahren dürfen, muss individuell entschieden werden – idealerweise in Rücksprache mit dem Arzt und unter Berücksichtigung der gesetzlichen Grenzwerte (in Deutschland 1 ng/ml THC im Blutserum, wobei bei medizinischer Einnahme Ausnahmeregelungen greifen können). Nebenwirkungen: Häufige anfängliche Nebenwirkungen sind Schwindel, Müdigkeit, Benommenheit, Mundtrockenheit, erhöhter Puls und Blutdruckabfall (ACM-Mitteilungen vom 11. März 2017 | IACM). Auch psychotrope Effekte wie Angstgefühle oder in seltenen Fällen vorübergehende Halluzinationen können auftreten, vor allem bei zu schneller Dosissteigerung. Die meisten dieser Effekte klingen bei Dosisreduktion rasch ab und lassen bei regelmäßiger Einnahme nach (Toleranzentwicklung) (ACM-Mitteilungen vom 11. März 2017 | IACM). Kontraindikationen: Nicht verordnet werden sollte Cannabis bei Patient:innen mit bestehender Schwangerschaft, psychotischen Erkrankungen oder schweren kardialen Vorerkrankungen (ACM-Mitteilungen vom 11. März 2017 | IACM). In solchen Fällen überwiegt das Risiko (z. B. für Psychose-Trigger oder kardiale Ereignisse). Wechselwirkungen: Cannabis kann die sedierende Wirkung anderer ZNS-dämpfender Medikamente verstärken – z. B. von Benzodiazepinen, Schlafmitteln oder Alkohol (ACM-Mitteilungen vom 11. März 2017 | IACM). Daher ist Vorsicht geboten, wenn solche Mittel parallel eingenommen werden (Sturzgefahr, verstärkte Müdigkeit). Zudem wird THC über die Leberenzyme (v. a. CYP450) verstoffwechselt; starke Hemmer oder Induktoren dieser Enzyme könnten die Cannabinoidspiegel erhöhen bzw. senken (ACM-Mitteilungen vom 11. März 2017 | IACM). Cannabisprodukte sind unter Verschluss und für Kinder unzugänglich aufzubewahren. Patient:innen sollten über das richtige Aufbewahren (kühl, dunkel, trocken) informiert sein, damit die Qualität (Wirkstoffgehalt) erhalten bleibt. Abschließend ist eine gute Aufklärung wichtig: Der Patient muss wissen, wie er selbst Zeichen einer Überdosierung erkennt (z. B. starker Schwindel, Panikgefühl) und dass er in einem solchen Fall die Einnahme pausieren und Rücksprache mit dem Arzt halten soll. Mit sorgfältiger Dosisfindung und Überwachung kann die Initialtherapie mit Cannabisblüten sicher und effektiv gestaltet werden.

Quellen: Aktuelle Leit- und Richtlinien (BfArM, Bundesapothekerkammer), praxisbezogene Empfehlungen aus der Schmerzmedizin sowie Fachinformationen der cannabinoidhaltigen Arzneimittel wurden berücksichtigt, um obige Dosierungsempfehlungen evidenzbasiert und patientenorientiert zu formulieren (Microsoft Word - FAQ_Cannabisgesetz_17_03_10.docx) (Microsoft Word - FAQ_Cannabisgesetz_17_03_10.docx) (ACM-Mitteilungen vom 11. März 2017 | IACM) (BfArM - Hinweise für Ärztinnen und Ärzte) (ACM-Mitteilungen vom 11. März 2017 | IACM) (ACM-Mitteilungen vom 11. März 2017 | IACM) (Cannabinoide in medizinischen Leitlinien | MMW - Fortschritte der ...) (ACM-Mitteilungen vom 11. März 2017 | IACM) (BfArM - Hinweise für Ärztinnen und Ärzte).

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